Man sagt sich nicht nur einmal Lebewohl

 Rezension von Annette Kruse-Keirath

Seine Bücher, populär-wissenschaftlich geschrieben und dabei immer wissenschaftlich fundiert, wurden in Dutzende von Sprachen übersetzt, haben Millionen von Lesern und Leserinnen erreicht.  Denn die Botschaft, die der französische Psychiater David Servan-Schreiber in seinen Bestsellern: „Die neue Medizin der Emotion“ und „Das Anti-Krebsbuch“ verbreitete, war eine, die vielen Menschen aus dem Herzen sprach: Unser Körper kann mit schweren Erkrankungen fertig werden, wenn es uns gelingt, die Selbstheilungskräfte des Organismus zu aktivieren. Wir sind nicht passiv Leidende, sondern können selbst aktiv etwas gegen die Krankheit und für unsere Gesundheit tun!

Servan-Schreiber selbst war, so schien es über 19 Jahre, das beste und überzeugendste Beispiel dafür, dass man Krebs durch einen Antikrebs-Lebensstil überwinden kann. Der „Krebsarzt“ litt selbst an einem Gehirntumor

Allerdings: 2010 kehrte die Krankheit zurück – und zwar in einer sehr aggressiven, unheilbaren Variante, wie es Servan-Schreiber in seinem letzten, nach seinem Tod veröffentlichten Buch mit dem Titel: „Man sagt sich nicht nur einmal Lebewohl“ beschreibt. Dieses Buch, das nur 150 Seiten „dünn“ ist, ist vielleicht das persönlichste eines engagierten Wissenschaftlers und staunenden Forschers, der sich nach Ausbruch seiner Krebserkrankung immer bewusst war: „Früher oder später würde er zurückkehren, das wusste ich. Ich konnte Zeit gewinnen, gut und ohne Angst leben, ihn fast vergessen. Aber jetzt ist der Rückfall da. The Big one“.

Anfangs – im Juni 2010 - ist Servan-Schreiber zuversichtlich, den Krebs auch diesmal zu besiegen. Im MRT hat man eine „Riesenkugel“ festgestellt – mit Blutgefäßen durchzogen und raumfüllend. Der Onkologe glaubt an ein Ödem als zeitverzögerte Reaktion auf vorangegangene Bestrahlungen. Anlass für das Kernspin waren Symptome wie Kopf- und Rückenschmerzen und vorübergehende muskuläre Ausfallerscheinungen, die zu plötzlichen Stürzen führten. Doch die anfängliche Hoffnung – vielleicht auch die Verleugnung der im Inneren bereits bekannten Diagnose – ist trügerisch. Bald steht fest: Das Ödem ist ein Tumor – und zwar ein bösartiger.



Obwohl Servan-Schreiber seine Prognose nur zu gut kennt, nimmt er den Kampf gegen die Krankheit wieder auf, schaltet auf „Bewältigungsmodus“, wie er es nennt. Er lässt sich erneut operieren und radioaktive Kügelchen ins Gehirn einsetzen, die die Restzellen des Tumors zerstören sollen, unterzieht sich in Belgien einer speziellen, kräftezehrenden Impftherapie.  Das Glioblastom, Stadium IV, widersetzt sich allen Therapieversuchen - auch den komplementärmedizinischen – und schreitet voran. Dennoch, und das ist das Überzeugende an diesem Krankheitsbericht mit unabwendbarem Ausgang, gibt der Patient nicht auf, sondern behält seine „Selbstkompetenz“: die Fähigkeit, über sich selbst zu bestimmen. 

Auch seine Selbstzweifel. Wozu das alles? Sind die Methoden, die das Anti-Krebsbuch empfiehlt, vielleicht doch falsch, hat das Buch seine Gültigkeit verloren? Warum konnten sie nicht vor dem Rückfall schützen?

Diese Zweifel lässt Servan-Schreiber in seinem Buch genauso wenig aus wie die Frage: Wie reagiere ich, wenn der Tod kommt, wenn er vor mir steht?

 Sein letztes Buch will der Autor als Antwort auch auf diese Fragen verstanden wissen. Und es ist auch seine Art, Lebewohl zu sagen und sich von den  Menschen zu verabschieden, die ihm wichtig sind: von seiner Frau, seinen Kinder, seiner Familie und seinen Zuhörern und Lesern, denen er sich bis zuletzt verpflichtet fühlt. Sachlich und exakt beschreibt er die Stationen seiner Erkrankung und die damit verbundenen körperlichen Einschränkungen. Dass er den Krebs nicht besiegen, wohl aber sehr lange – entgegen der Prognose bei Erstdiagnose – leben und überleben konnte, bestärkt ihn in seiner Überzeugung: Ich habe es in der Hand, meinen Gesundheitszustand positiv zu beeinflussen.Und: „Man muss die eigene Gesundheit pflegen, sein seelisches Gleichgewicht pflegen, seine Beziehungen zu Menschen pflegen, die Erde um uns herum pflegen. Die Gesamtheit dieser Bemühungen trägt dazu bei, uns vor Krebs zu schützen, individuell und kollektiv, auch wenn es nie eine hundertprozentige Garantie geben kann“. 


Besonders beeindrucken zwei der letzten Kapitel des Buchs über die Liebe und die „Liebkosung des Windes“. Beide beschreiben auf eine sehr intime  Art und Weise Servan-Schreibers Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Verlangen nach Unsterblichkeit. „Wenn ich nicht körperlich zurückkomme, vergiss nicht, dass jedes Mal, wenn du den Wind auf deinen Wangen spürst, ich es bin, der dir einen Kuss gibt“ zitiert er dort aus dem Brief eines Soldaten aus dem amerikanischen Bürgerkrieg.  Das Gefühl, das er sich wünscht mit seiner Familie – die jüngste Tochter ist gerade zwei Jahre alt - auch nach seinem Tod zu teilen, verbindet ihn auch mit allen, denen er im Kampf gegen den  Krebs Vorbild war. 
„Mein Bruder David starb acht Wochen, nachdem er dieses Buch vollendet hatte“, schreibt Emile Servan-Schreiber im Epilog.  „Die Art, wie er seinem Tod entgegenging, ist eine Lehre fürs Leben“.


David Servan-Schreiber: Man sagt sich nicht nur einmal Lebewohl. Kunstmann-Verlag, München 2012, 152 Seiten, 14,95 Euro. ISBN 978-3-88897-751-0