Krebsfrüherkennung kann Leben retten - Interview mit Prof. Dr. Thomas Dimpfl

26. September 2013

Krebsfrüherkennung kann Leben retten! Denn je früher Krebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Deshalb sollte jede Frau regelmäßig zur Früherkennungs-Untersuchung gehen. 

So kann man es u.a.  in den offiziellen Werbebroschüren der Krankenkassen nachlesen. Aber inzwischen werden auch kritische Stimme lauter, die die Sinnhaftigkeit von Früherkennungsuntersuchungen bezweifeln. Krebs-Früherkennung – so das Hauptargument der Früherkennungsgegner – sei nur vorverlegte Diagnose mit längerer Behandlungszeit und auch Leidenszeit für die Betroffenen. Zudem gebe es bislang für Deutschland keine wissenschaftlichen Nachweise, dass die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen z.B. die Zahl der Frauen, die an Brustkrebs versterben, wirklich senke.

Die Allianz gegen Brustkrebs sprach über dieses Thema mit Prof. Dr. Thomas Dimpfl, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und Chefarzt der Frauenklinik des Klinikums Kassel über die Chancen und Risiken der Krebsfrüherkennung.

Allianz gegen Brustkrebs

Die  Richtlinien für die Krebsfrüherkennungsuntersuchungen von Frauen stammen aus dem Jahr 1971 und sind inzwischen mehr als 40 Jahre alt.  Hinzu gekommen zum ursprünglichen Programm ist nur das Mammographie-Screening für Frauen im Alter zwischen 50 und 69 Jahren. Ist die Krebsfrüherkennung in dieser Form heute noch zeitgemäß und welchen Handlungsbedarf sehen Sie aus medizinischer Sicht?

Professor Dimpfl

Das Krebsfrüherkennungsprogramm aus den 70er Jahren ist in meinen Augen für die Frauenärzte und insbesondere die Frauen in Deutschland eine Erfolgsgeschichte. Dadurch konnte die Inzidenz an Gebärmutterhalskrebs-Erkrankungen deutlich gesenkt werden und das ist weltweit Spitzenniveau. Durch die Hinzunahme des Mammografiescreenings seit ca. 7 Jahren konnte nachweislich in Deutschland die Überlebensrate für Frauen mit Brustkrebs verbessert werden. Das heißt, durch die Früherkennung werden viele Frauen in einem Stadium erkannt, in dem sie geheilt werden können und damit keine Metastasen erleiden. In meinen Augen ist auch das eine Erfolgsgeschichte.

 Allianz gegen Brustkrebs

Für die Früherkennung von Brustkrebs sehen die Richtlinien ab dem 20. Lebensjahr lediglich die Anleitung zur Selbstuntersuchung und die Tastuntersuchung durch den Frauenarzt vor.  Dabei ist schon längst wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Tastuntersuchung keine Früherkennung im eigentlichen Sinn darstellt. Auch die aktuellen Behandlungsleitlinien für das Mamma-Karzinom weisen ausdrücklich darauf hin. Warum glauben Sie, werden moderne bildgebende Verfahren wie der Brustultraschall nicht in die Früherkennungsprogramme integriert?

Professor Dimpfl

Die jetzt bestehende Screeninguntersuchung bei Frauen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr ist sicher ein Fortschritt. Diese Untersuchung beruht auf Betrachtung der Erkrankungsvermeidung aber auch ökonomischen Betrachtungen. Wünschenswert wäre sicher, das Zeitintervall des Screenings nach vorne und nach hinten zu verlängern, also sowohl jüngere als auch ältere Frauen mit einzubeziehen. Wünschenswert wäre sicher auch, zu der Mammografie die Sonografie und die klinische Untersuchung zu ergänzen. Wir sind uns im klaren, dass keine Methode eine 100%ige Sensitivität und Spezifität und damit Sicherheit liefert, aber eine Ergänzung der Mammografie durch die Sonografie würde die Detektionsrate von frühen Brustkrebserkrankungen sicher verbessern.                                                                                                      

Die Frage, warum ist sie bisher nicht eingeschlossen – ich denke, es ist ein Lernprozess im System. Wir haben mit der Mammografie begonnen – einerseits muss die ökonomische Betrachtung hier mit einbezogen werden- sprich, ist es bezahlbar – und zum zweiten, wenn es bezahlbar ist, denke ich, es ist auch eine Möglichkeit, die Belange der Patientinnen durch uns – sprich Ärzte und Selbsthilfegruppen - mit einzubringen.

Allianz gegen Brustkrebs

Die Mammographie gilt nach wie vor als der Goldstandard der Bildgebung bei der Brustkrebsfrüherkennung.  Mittels Röntgenuntersuchung lassen sich aber methodenbedingt nicht alle Tumoren aufspüren. Insbesondere bei „drüsendichtem“ Gewebe (Parenchymdichte ACR III und ACR IV)  ist die Mammographie oft diagnostisch blind.  Viele Frauen, die zum Screening gehen, wissen aber nicht, was die Mammographie leisten kann und was nicht.  Was  müsste Ihrer Meinung nach an der Information und Aufklärung der Frauen geändert werden, damit diese wirklich eine „informierte Entscheidung“ treffen können?

Professor Dimpfl

Es gibt keine Untersuchung, die alle, sprich 100% der Tumore aufspürt. Die Mammografie ist sicher die beste Screeninguntersuchung, die Aufschluss gibt über weitere notwendige Untersuchungen. Wir wissen nie im Vorfeld ob jemand ein dichtes Parenchym hat oder nicht. Deshalb ist in meinen Augen wichtig zu prüfen, wie ist die Mammografie? und dann weitere Entscheidungen mit Patientin und Arzt zutreffen. Also im Vorfeld auf die Mammografie zu verzichten halte ich nicht für richtig.

Allianz gegen BK

Viele Frauenärzte bieten ihren Patientinnen die Ultraschalluntersuchung der Brust als Selbstzahler-Leistung an, weil sie nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Früherkennungsprogramme gehört. Mit den hochauflösenden Schallköpfen der Ultraschallgeräte der neuesten Generation lassen sich kleine Tumoren, die von der Mammographie nicht gesehen werden,  zuverlässig entdecken. Der GKV-Spitzenverband rät in seinem IGEL-Monitor von der Untersuchung ab, weil sich keine Studien finden lassen, die zeigen, dass der Brustultraschall Frauen vor dem Tod bewahren kann. Wie sollte nach Ihrer Auffassung eine Brustkrebsfrüherkennung aussehen und was  raten Sie gesunden Frauen?

Professor Dimpfl

Weder Ultraschall noch Mammografie alleine sind das all selig machende Diagnostikum. Wir wissen, dass durch die Mammografie alleine ca. 70% der Tumore entdeckt werden, durch die Sonografie alleine 40-50 % und durch die Kombination aus beiden Methoden ca. 80-90% entdeckt werden. Also weder Mammografie noch Ultraschall alleine sind ausreichend, in der Kombination erbringen sie die besten Ergebnisse. Wir wissen aus vielen Studien, dass desto kleiner der Tumor entdeckt wird, desto höher ist die Überlebenschance der Frau, desto geringer ist das Risiko, dass der Tumor wiederkommt. Also alle Methoden, die es uns ermöglichen, den Tumor möglichst klein aufzuspüren, sind richtig. Dies ist zunächst die Kombination aus Mammografie und Ultraschall und bei weiterer Unsicherheit dann die Kernspintomografie.

 Allianz gegen Brustkrebs

Ab 2016 soll im Rahmen des Nationalen Krebsplans auch ein Einladungswesen für die Früherkennung von Darm- und Gebärmutterhalskrebs eingerichtet werden. Die Teilnahmequoten bei der Darmkrebsfrüherkennung sind rückläufig,  mehr als 70 Prozent der Frauen nehmen aber ohnehin die Abstrichuntersuchungen in Anspruch. Sehen Sie hier ebenfalls wie der Gesetzgeber Handlungsbedarf und wenn ja, warum?

Professor Dimpfl

Zum Einladungssystem zu Darmkrebs und Gebärmutterhalskrebs: ich denke dass das ein wichtiger Baustein in der Früherkennung von Krebserkrankungen ist. Wir haben in der Früherkennung bzw. Vorsorge für den Gebärmutterhalskrebs ja seit den 70er Jahren das Abstrichsystem für Frauen ab dem 30sten Lebensjahr, die jährlich zur Vorsorgeuntersuchung gehen können. Dies ist aber freiwillig und die Frauen werden dazu nicht aufgefordert. Wir erhoffen uns aus dem Einladungssystem, dass die Patientinnen regelmäßiger und in höherer Anzahl daran teilnehmen. Damit hoffen wir – ggf. noch in Kombination mit der HPV Impfung – den Gebärmutterhalskrebs wirklich komplett auszurotten.

Allianz gegen Brustkrebs

Forscher in Wien und Aachen arbeiten an Bluttests zur Früherkennung von Brustkrebs und haben hier auch schon vielversprechende Studienresultate vorgestellt. Glauben Sie, dass wir auf Dauer auf bildgebende Verfahren in der Früherkennung verzichten können, weil Bluttests sie ablösen werden?

Professor Dimpfl

Man muss immer Visionen für die weitere Diagnostik und Therapie von Erkrankungen haben. Die Realität zum jetzigen Zeitpunkt ist für mich, dass wir auf bildgebende Verfahren in der Früherkennung nicht verzichten können und ich sehe, dass wir hier eine Ergänzung bekommen mit Bluttests ect. Aber ich glaube nicht, dass sich in den nächsten 10 Jahren die Früherkennung für Brustkrebs wesentlich ändert.

Allianz gegen Brustkrebs

Die Früherkennung des Rückfalls bei bereits erkrankten Frauen ist nach wie vor symptombezogen. Nur wenn Beschwerden auftreten, werden weitere Untersuchungen veranlasst.  Wenn bei gesunden Frauen dann, wenn der Krebs früh erkannt wird, bessere Heilungschancen bestehen, gilt dies dann nicht in besonderem Maße bei bereits erkrankten Frauen,  zumal sich die Behandlungsmöglichkeiten von Metastasen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert haben. Welchen Stellenwert sollte die Früherkennung nach ihrer Einschätzung in der Nachsorge haben?

Professor Dimpfl

Dies ist ein sehr kontroverses Thema,  Kernfrage: Wie weit macht Nachsorge Sinn? Die Empfehlung unserer Fachgesellschaft ist eine symptombezogene Nachsorge, das heißt, es wird nur dann genauer nachgesehen, wenn sich Symptome wie Luftnot oder  Schmerzen im Bewegungsapparat  zeigen. Ich glaube, dass dies nicht der richtige Weg ist aber es fehlen dafür die Fakten, dies zu widerlegen. Die Frage, ob Patientinnen von einer Erkennung einer Metastasierung in einem früheren Stadium wirklich profitieren, ist auch nicht beantwortet. Also ich denke, hier ist in den nächsten Jahren noch ganz viel Forschungsarbeit zu leisten um diese Frage zu klären. Bringt es für die Patientinnen einen Profit für die Lebensqualität und die Lebensdauer wenn wir eine Metastasierung früh erkennen – dann macht eine intensivierte Nachsorge Sinn. Wenn wir keinen Benefit für die Patientinnen haben, macht auch eine intensivierte Nachsorge keinen Sinn. 

Allianz gegen Brustkrebs

Ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung und brustgesunder Ernährung wird heute Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, als Präventionsmaßnahme empfohlen. Können Bewegung und Ernährung auch das Risiko senken, überhaupt an Brustkrebs oder allgemein an Krebs zu erkranken?

 Professor Dimpfl

Wir wissen, dass ein gesunder Lebensstil eine gute Maßnahme ist, das wieder auftreten des Krebses zu vermeiden oder hinauszuzögern. Das gleiche gilt für Prävention. Nicht nur für Brustkrebs sondern auch für Herz- Kreislauferkrankungen, und Darmerkrankungen wissen wir: Gesunde Ernährung und Bewegung vermindern das Risiko daran zu erkranken und sind damit ein wichtiger Baustein in unserer eigenen Gesundheitsvorsorge.

 Allianz gegen Brustkrebs

Sie arbeiten seit vielen Jahren mit  Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind. Was entgegnen Sie den Kritikern der Früherkennung, die die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Untersuchungen in Frage stellen?

Professor Dimpfl

Hiergegen gibt es zwei Argumente. Das eine Argument ist, dass wir in Deutschland in den letzten 10 Jahren wissenschaftlich belegen konnten, dass durch die intensivierte Früherkennung die Überlebenschancen für Frauen mit Brustkrebs deutlich verbessert wurden. Dies ist die wissenschaftliche Argumentation. Die andere Argumentation ist – ich darf es nennen – der gesunde Menschenverstand. Wir können aus vielen Studien in den letzten 30-40 Jahren sehen, dass, desto früher ein Brustkrebs erkannt wird, er desto besser behandelbar ist. Damit macht eine Früherkennung für mich uneingeschränkt Sinn und dient dem Wohle und dem Leben der Patienten.

Die Interviwefragen für die Allianz gegen Brustkrebs stellten Regina Möller und Annette Kruse-Keirath.