Das Rätsel der Hirnmetastasen entschlüsseln

21. April 2016

Hirnmetastasen sind ganz besondere Metastasen – sie sind biologisch anders als der Primärtumor und entwickeln sich auch ganz anders als andere Metastasen. Das sind die Kernaussagen neuer Forschungsergebnisse, die Prof. Dr. Tobias Pukrop von der Universitätsklinik Regensburg auf dem 32. Deutschen Krebskongress vorstellte. Waren die Krebsforscher bislang davon ausgegangen, dass sich Metastasen im Hirn und im zentralen Nervensystem linear, also schrittweise aus dem ursprünglichen Tumor entwickeln, weisen neue Studienergebnisse in eine ganz andere Richtung.

Der Leiter der interdisziplinären Onkologischen Tagesklinik aus Regenburg berichtete, dass Hirnmetastasen sich oftmals schon früh vom Primärtumor biologisch lösen und autonom weiterentwickeln. Sie haben somit ein ganz anderes genetisches Profil als der ursprüngliche Tumor, und oft sind noch nicht einmal mehr Zellen aus diesem in den Metastasen nachweisbar. Dies habe sich z.b. in einer Studie beim kleinzelligen Bronchialkarzinom gezeigt, wo in 8 Prozent der untersuchten Metastasen überhaupt keine Übereinstimmung mit dem Primärtumor zu finden gewesen sei. Insoweit kann eine zielgerichtete Therapie  des Primärtumors im Hinblick auf die Hirnmetastasen nach Einschätzung von Prof. Pukrop auch keinen Erfolg zeigen.

Hinzu kommt, dass eine Hirnmetastase, bevor sie sich bemerkbar macht, eine lange biologische Vorgeschichte hat.  So ist es nach Auskunft von Prof. Pukrop wahrscheinlich, dass einzelne Tumorzellen schon zu dem Zeitpunkt, zu dem die Krebserkrankung erstmals diagnostiziert wurde, die Blut-Hirn-Schranke durchdrungen und damit den Schutzmantel des Gehirn durchwandert haben. Die Tumorzellen sind also schon im Gehirn und haben sich dort angesiedelt, lange bevor es zur Ausbildung von Metastasen kommt. Die Behandlung des Primärtumors erreicht diese Zellen nicht und kann somit auch das Entstehen von Metastasen nicht beeinflussen.  

Hirnmetastasen haben jedoch nicht nur wenige Gemeinsamkeiten mit dem Primärtumor, sondern unterscheiden sich genetisch auch deutlich von anderen Organmetastasen. Die unterschiedlichen Organe haben verschiedene Abwehrmechanismen und so haben auch die dort abgesiedelten Metastasen ihre ganz eigenen Veränderungsmuster. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass zielgerichtete Therapie zwar das Voranschreiten der Erkrankung bremsen, nicht aber das Gesamtüberleben verbessern. Nach Ansicht des Regensburger Onkologen genügt es nicht, dass genetische Profil des Primärtumors zu bestimmen, sondern es müssten häufiger als bisher auch Gewebeproben von Metastasen auf ihre biologischen Eigenschaften hin untersucht werden. Ziel der Forschung müsse es sein,  das Eindringen von Tumorzellen in das Gehirn – die sogenannte Kolonisation – überhaupt zu verhindern. Derzeit wisse man aber noch viel zu wenig über die Biologie der Hirnmetasten. Und letztlich wäre wünschenswert, die Kolonisation des Gehirns überhaupt zu verhindern. Dazu ist aber die Biologie der Hirnmetastasen noch viel zu wenig bekannt, bedauerte Pukrop.

Im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten von ZNS Metastasen beim Mammakarzinom zeigte sich Prof. Volkmar Müller vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf aber zuversichtlich. Die Zahl der Brustkrebspatientinnen, die im Verlauf ihrer Erkrankungen Hirnmetastasen (auch ZNS-Metastasen) entwickeln, ist in den letzten Jahren zwar stetig angestiegen. Darauf weisen auch  die aktuellen AGO Leitlinien (Stand Februar 2015) hin, die einen Anstieg der Inzidenz von 10 auf 40 Prozent ausweisen. Besonders hoch ist das Risiko einer späteren Hirnmetastasierung bei triple negativen Brusttumoren, Basalzellkarzinomen und Tumoren in fortgeschrittenem Stadium (G3), mit hohem Ki67 Score 0der mit HER2-Neu  oder HER1-Überexpression.  

Inzwischen, so berichtete Prof. Müller anlässlich des DKG Symposions: State of the Art: Hirnmetastasen und spinale Metastasen“ befinden sich unterschiedliche Therapieansätze in der frühen klinischen Prüfung. Hierbei handelt es sich um die Her2 spezifische Tyrosinkinaseinhibitoren und einen trifunktionalen Antikörper. Auch ein Impfstoff befinde sich in der Erprobung. Der Hamburger Krebsforscher plädierte dafür, Studien zu Hirnmetastasen organspezifisch anzulegen, da die Metastasen unterschiedler Primärtumore nicht gleichermaßen sensibel für die jeweiligen Behandlungsstrategien sind.  So werden im Rahmen der BMBC Registerstudie, die das UKE derzeit zusammen mit der German Breast Cancer Group durchführt, prospektiv und retrospektiv Daten von Patientinnen mit Hirnmetastasen des Mammakarzinoms erhoben. Die Studiendaten sollen dabei helfen, die Ursachen für das Entstehen von Hirnmetastasen bei Brustkrebs besser zu verstehen. (akk)

Quelle: Symposium „State of the Art: Hirnmetastasen und spinale Metastasen", 32. Deutscher Krebskongress, 25.02.2016, Berlin