Informierter Patient, schwieriger Patient? Die Gleichung geht nicht auf

10. November 2016

Patienten, die sich bei Dr. Google & Co selbst informieren, sind schwierige Patienten. Sie glänzen mit gesundem Halbwissen, sind schwierig zu führen, haben viel zu hohe Erwartungen an den Arzt und die Therapie, verkomplizieren den Therapieprozess. Zumindest ist das eine oft gehörte Annahme. Eine Befragung von Bertelsmann-Stiftung und Barmer Gmünder Ersatzkasse kommt jetzt aber zu einem anderen Ergebnis: Informierte Patienten sind eine Chance für Arzt und Patient, wenn es darum geht, gemeinsam die beste individuelle Therapie zu finden.

Im Rahmen der Studie befragten die Autoren Ende 2015 mehr als 800 niedergelassene Ärzte online nach ihren Erfahrungen und zu ihrer Einstellung gegenüber „selbstinformierten Patienten. Fast alle Ärzte, so ein wichtiges Befragungsergebnis, erklärten, dass sich ihrer Patienten heute stärker selbst informieren als vor fünf Jahren. Sie recherchieren im Internet und suchen Informationen über ihre Erkrankung. Dadurch verändert sich auch die Arzt-Patienten-Beziehung.

Von den befragten Ärzten gaben 25 Prozent an, dass sie an einem normalen Arbeitstag mit mehr als 30 Prozent der Patienten über Krankheits- bzw. Gesundheitsinformationen aus dem Internet diskutieren.  Die Hälfte der Mediziner begrüßt diese Entwicklung, die andere sieht sie eher negativ und skeptisch.

Zu denen, die die Entwicklung zum informierten Patienten begrüßen, gehört auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie, Prof. Jörg Debus. Nach seiner Einschätzung können sich informierte Patienten leichter an Entscheidungen für ihre Gesundheit beteiilgen. „Wer Grundsätzliches über Krebstherapien weiß – sei es Operation, Chemo- oder Strahlentherapie, kann zusammen mit dem behandelnden Arzt die für ihn beste Therapieentscheidung treffen und diese auch mittragen.“ Zudem können Patienten, die ihre Krankheit, die Behandlungsansätze und mögliche Folgen der Therapie kennen, besser mit der Erkrankung zurechtkommen.

„Der Arzt“, so Prof. Debus, „ist und bleibt der Experte – das steht nicht infrage. Dennoch darf der Patient eine Therapieempfehlung hinterfragen und sollte dies vor allem dann tun, wenn er nicht hinter der Therapieentscheidung steht.“ Wenn Patienten Zweifel an der Einschätzung oder Behandlungsempfehlung ihres Arztes haben, sollten in jedem Fall eine Zweitmeinung einholen. Hier ist ärztliche Empfindsamkeit oder Eitelkeit nach Einschätzung von Prof. Debus fehl am Platz: Denn wenn der Patient danach der Erstempfehlung folgt, unterstützt er die Therapie aktiver und bewusster als vorher. „Und“, so der Mediziner, „ich behandle ihn natürlich genauso gern und engagiert wie zuvor auch.“

Ärzte sollten informierte Patienten daher als Chance begreifen, meint auch die Münchener Strahlentherapeuthin Professor Stephanie Combs. „Mitunter finden sich sachlich nicht richtige Informationen im Web. Da ist es unsere Aufgabe, unseren Patienten gutes Infomaterial an die Hand zu geben – uns also vorab gegebenenfalls selbst zu informieren, welche Internetseiten oder auch Broschüren gut und seriös sind. (akk)

Literatur: Anja Bittner: Informierte Patienten und unzureichend vorbereitete Ärzte, Gesundheitsmonitor Bertelsmann-Stiftung, 2-2016