Sport und Bewegung

Bei Krebs so wirksam wie Medikamente! 

Nach der Krebsoperation auf den Jakobsweg? Zur Vorbeugung eines Rückfalls in die Mucki-Bude? Noch vor wenigen Jahren hätten Onkologen bei solchen Empfehlungen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Krebspatienten bekamen damals auf die Frage:  Herr Doktor, was kann ich selbst für mich tun? meist die Antwort: Schonen Sie sich, muten sie sich nicht zu viel zu – schon gar nicht körperliche Aktivität.

Inzwischen hat sich die offizielle Lehrmeinung grundlegend geändert. Denn die Medizin weiß: Bewegung und Sport wirken nicht nur „krebsvorbeugend“, sondern verbessern auch die Prognose von Patienten, die bereits an Krebs erkrankt sind.  Internationale Studien haben gezeigt, dass regelmäßige körperliche Aktivität und Bewegung – es muss nicht immer Sport sein! – das Risiko, an einem Tumor zu erkranken, um bis zu 50 Prozent reduzieren können (bei Dickdarmkrebs beispielsweise um 50 Prozent, bei Brustkrebs immerhin um 20 Prozent).  Wer sich bewegt, bewegt nämlich auch in Sachen Gesundheit etwas. Nicht nur das Herz-Kreislaufsystem und Muskeln und Knochen werden trainiert, sondern auch das  Immunsystem profitiert. Vor allem deshalb, weil Bewegung nicht nur die körperliche Fitness verbessert, sondern auch als eine Art „Glücksspender“ großen Einfluss auf die seelische Gesundheit hat und somit wie ein natürliches  Antidepressivum wirkt. Bewegung und Sport wirken zudem entzündungshemmend (Entzündungen gelten als Vorboten von Krebs), verstärken die Bildung von Stoffen, die die freien Radikale abfangen, die die Zellen schädigen können und steigern die Produktion von Zytokinen, die den programmierten Zelltod (Apoptose) steuern und so das Krebswachstum stoppen.

Bewegung – ein natürliches Medikament, nebenwirkungsfrei und kostenlos

Mehrere große Studien aus dem angelsächsischen Raum haben inzwischen eindrucksvoll bewiesen, dass Krebspatienten, die nach der Erkrankung körperlich aktiv sind,  von diesem Bewegungsprogramm nicht nur im Hinblick auf die Lebensqualität profitieren. Auch das Risiko eines Rückfalls sinkt bei regelmäßiger Bewegung.  Wie Prof. Martin Halle vom Klini-kum rechts der Isar (München) im Oktober 2011 beim internationalen Symposion: „ Sport und Krebs“ in München berichtete, verbessert sich die Prognose bei Brustkrebspatientinnen um bis zu 40 Prozent, bei Patienten mit einem Kolonkarzinom in einer Spanne zwischen 14 und 47 Prozent. Und das dank eines „natürlichen Medikaments“, das gut verträglich, nebenwirkungsfrei und für alle Patientinnen und Patienten –unabhängig vom Erstattungs-verhalten ihrer Krankenkasse – frei zugänglich ist und dazu noch kostenfrei bzw. kostengünstig ist.

Die Daten, die auf dem Münchener Kongress vorgestellt wurden, entstammen großen epi-demiologischen Studien mit 40.000 bis 120.000 Teilnehmern.  Allerdings fehlen noch letzte wissenschaftliche Beweise für den Zusammenhang zwischen Bewegung, Sport und Verbesserung der Krebsprognose, die den Kriterien der evidence based medicine genügen. Diese sollen große prospektive, randomisierte (die Teilnehmer werden nach dem Zufalls-prinzip ausgesucht) Studien erbringen, die u.a. am Klinikum rechts der Isar und am Rotkreuzklinikum in München derzeit in Vorbereitung sind.  Geplant ist die weltweit erste Studie, die an mehreren Zentren untersuchen soll, inwieweit sich körperliche Aktivität auf die Lebensqualität und die rezidivfreie Zeit bei Patienten mit Darmkrebs auswirkt.  Eine weitere Studie untersucht deutschlandweit den Einfluss von Ernährung und Sport auf die Prognose bei Brustkrebs und Frauen mit erblicher Veranlagung für diese Erkrankung (z.B. BRCA-Genmutation).  Urologen und Gynäkologen des Klinikums rechts der Isar wollen zudem in einer landesweiten Studie ermitteln, welchen Effekt die Einbeziehung einer Trai-ningstherapie  in die Gesamtbehandlung bei Männern mit Prostata- und Frauen mit Brust-krebs hat.

Krebssportgruppen fest in weiblicher Hand

Auch an der Sporthochschule in Köln und am Deutschen Krebsforschungsinstitut (DKFZ) in Heidelberg laufen Studien, die die Effekte von Bewegung, Sport und Ernährung in der Krebstherapie untersuchen.  Nach Erfahrung von Dr. Freerk Baumann von der Kölner Sporthochschule profitieren vor allem Frauen mit Brustkrebs von Sport- und Bewegungsprogrammen. Dies hat sich zwischen-zeitlich auch bei den betroffenen Frauen selbst herumgesprochen. In den 800 Krebs-sportgruppen in Deutschland sind nach Auskunft von Baumann 90 Prozent der Teilnehmer Brustkrebspatientinnen. Und das kommt nicht von ungefähr.  Denn die Patientinnen spüren schnell am eigenen Leib die wohltuende und heilende Wirkung eines therapeutischen Sportprogramms. Dies verbessert nicht nur die allgemeine körperliche Fitness – die Frauen fühlen sich körperlich leistungsfähiger -, sondern bekämpft auch das Fatigue-Syndrom und verringert die Gefahr eines Lymphödems. Weitere positive Effekte:  Durch ein spezielles Training lassen sich Muskelverkürzungen im Schulter-Arm-Bereich vermeiden und auch die Gefahr einer Osteoporose, die oft mit der Einnahme von Medikamenten verbunden ist, die die Hormonproduktion stoppen (Tamoxifen, Aromatasehemmer) , lässt sich so verringern. Ganz wichtig ist nach Einschätzung des Kölner Sportwissenschaftlers aber der psychologische Nebeneffekt des Sportprogramms: Frauen mit Brustkrebs, die regelmäßig trainieren,  entwickeln ein positives Körper- und Selbstwert-gefühl und fühlen sich weniger „entweiblicht“ als diejenigen, die ihr Schicksal passiv über sich ergehen lassen.

Heraus aus dem Bermuda-Dreieck

Auch Prof. Martin Halle vom sportmedizinischen Institut des Münchener Klinikums rechts der Isar und Prof. Michael Schoenberg, Chef der Chirurgie am Rotkreuzklinikum München bestätigen diesen Effekt. Ihr Ziel ist es, Krebs-Patienten „aus dem „Bermudadreieck“ von Fernseher, Couch und Depression herauszulocken und ihnen durch Bewegungsprogramme die Möglichkeit zu geben,  aktiv gegen ihre schwere Erkrankung anzukämpfen“. Auf die Frage von Patienten: Was kann ich selbst für mich tun? heißt eine wichtige Antwort aus Sicht viele Krebsexperten deshalb:  Ernähren Sie sich gesund, achten Sie auf Ihr Gewicht und bewegen Sie sich regelmäßig.

Dem Körper die hormonellen Wachstumsbeschleuniger entziehen

Warum ist das wichtig?  Bewegung und Gewicht haben Einfluss auf die hormonelle Balance des Organismus. Übergewicht geht mit erhöhten Hormonspiegeln im Blut einher.  Hormone senden Signale an die Krebszellen aus, die bei vielen Tumorarten wie Wachstumsbe-schleuniger wirken. Dadurch steigt das Risiko für einen Rückfall. Durch regelmäßige Be-wegung und Sport lassen sich die Hormonspiegel auf Normalniveau senken.  So verlangsamt  sich die Krebsentwicklung, denn den Krebszellen werden – ähnlich wie bei einer antihor-monellen Therapie - die hormonellen Wachstumsbeschleuniger entzogen.

Gerade diesen Zusammenhang versucht auch die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Wolfgang Janni, Düsseldorf, seit 2010 in der großen Success-C-Studie, in die bislang 3642 Patienten-innen eingeschrieben sind, nachzuweisen. In einem zweiten Studienarm wird hier der Ein-fluss von Lebensstilfaktoren auf das progressionsfreie Überleben (Lokalrezidive und Fern-metastasen) bei Brustkrebspatientinnen untersucht, deren Tumor Empfangsantennen für die weiblichen Sexualhormone aufweist. Ziel der Forschungsgruppe ist es nachzuweisen, dass sich das Rückfallrisiko durch Gewichtsreduzierung um fünf (BMI zwischen 25 und 30) bzw. zehn Prozent (BMI 30 bis 40) deutlich reduzieren lässt. Die Patientinnen erhalten deshalb im Rahmen der Studie über einen Zeitraum von zwei Jahren eine individuelle Telefon-Beratung zu einer gesunden Ernährung und zum Ernährungsverhalten und bekommen eine Anleitung für ein passendes Bewegungsprogramm.

Ausdauersport und Krafttraining  – eine wirksame Kombination

Bewegung ist dabei nicht unbedingt mit Sport, schon gar nicht mit Leistungssport gleich-zusetzen. Oft reicht es schon aus, sich im Alltag einfach mehr zu bewegen, die Treppe zu benutzen statt mit dem Aufzug ins dritte Obergeschoss zu fahren, zu Fuß zum Briefkasten zu gehen statt das Auto zu nutzen oder mit dem Fahrrad zum Einkaufen zu fahren.  Auch wer regelmäßig das Tanzbein schwingt, betreibt wirkungsvolle Krebsprophylaxe.  Tai Chi, Yoga, Qui-Gong, Aerobic und Aqua Fitness haben ebenfalls einen positiven Effekt. Wenn es um „richtigen“ Sport geht, haben sich aus sportmedizinischer Sicht vor allem Ausdauer-sportarten wie Schwimmen, Walken und Radfahren als ideale Begleiter in der Krebsbe-handlung bewährt.  Dr. Freerk Baumann von der Sporthochschule Köln empfiehlt Krebs-patienten auch Nordic Walking oder Ski-Langlauf und ebenso wie Dr. Holger Krakowski-Rosen vom DKFZ in Heidelberg sogar ein gezieltes Krafttraining.  Denn Ausdauersport und Muskelaufbautraining ergänzen sich in ihrer therapeutischen Wirkung in idealer Weise. „Während das Ausdauertraining  den Stoffwechsel, die Gefäßneubildung und den Sauerstoff-transport im Muskel verbessert, regt das Krafttraining gezielt den Aufbau von Muskelmasse an und wirkt damit dem fatalen Muskel- und Kräfteabbau entgegen“ so der Heidelberger Sportwissenschaftler.

Keine Karenzzeit für das Sportprogramm: Je früher desto besser

Wann sollten Krebspatienten mit dem Bewegungsprogramm beginnen? Idealerweise schon 24 Stunden nach der Operation – und zwar unter Anleitung eines geschulten Therapeuten – so die Empfehlung von Freerk Baumann.  Diese Form der Frührehabilitation (z.B. Aktivierung der sogenannten Muskelpumpe) kann schon im Akutkrankenhaus Verkürzungen des Muskelgewebes entgegenwirken. Zudem konnten die Kölner Sportwissenschaftler z.B. bei Brustkrebspatientinnen zeigen, dass in der  Phase der Chemotherapie, die für den Körper extrem belastend ist,  ein regelmäßiges Ganzkörpertraining an ausgewählten Trainings-geräten, in dessen Verlauf vor allem die Arm-, Rücken und Beinmuskeln mit Kraft- und Dehnübungen trainiert wurden, einen ausgesprochen positiven Effekt hat. Die Frauen mach-ten beim anstrengenden Training nicht nur mit Begeisterung mit, sondern profitierten auch körperlich: Sie konnten trotz kräftezehrender Chemotherapie das Kraftniveau im Arm an der operierten Seite halten.  Darüber hinaus scheint das Krafttraining auch ein wirkungsvolles Mittel gegen Fatigue zu sein.

Onkologische Zentren wie das Brustzentrum an den Kliniken Essen-Mitte oder das Brust-zentrum Niederrhein bieten ihren Patientinnen deshalb direkt nach Diagnosestellung individuelle Sportprogramme an.  In Mönchengladbach stehen Brustkrebspatientinnen von Beginn der Behandlung an ein Fitness-Raum und eine Nordic-Walking-Trainerin zur Ver-fügung. Die Frauen trainieren in einem „geschützten Raum“ unter sich, so dass Frust und Demotivation durch den Vergleich mit Gesunden von vornherein vorgebeugt ist.  Ebenso wie in Essen, wo Prof. Gustav Dobos und Privatdozent Dr. Sherko Kümmel mit dem Projekt „Seno-Expert“ neue Wege in der integrativen Therapie bei Brustkrebs gehen, wird den Patientinnen auch in Mönchengladbach ergänzend eine Ernährungsberatung angeboten. Brustgesunde Ernährung und ein individuelles Sportprogramm sind hier wesentliche Bestandteile der adjuvanten Therapie.

Welche Sportart passt zu mir?

Aber: Nicht jede Sportart ist für jeden Krebspatienten geeignet. Vorsicht ist bei Golf und Inline-Skaten geboten. Skater haben ein erhöhtes Sturzrisiko, Golf kann das Entstehen von Lymphödem begünstigen. Auch Kampfsportarten und Trainingsarten mit intensivem Körper-kontakt (Judo, Boxen, Ringen) sind wie Wettkampfsport oder Sportarten mit ruckartigen oder reißenden Bewegungen. Hier besteht – so Baumann - immer die Gefahr von Überla-stung des operierten Gewebes und von Stürzen.

Anders als noch vor einigen Jahren gibt es aber keine generellen Verbote mehr, sondern eher individuelle Empfehlungen. Wichtig ist es, dass insbesondere Patienten, die lange Zeit körperlich wenig aktiv waren, langsam und behutsam an die jeweilige Sportart herangeführt werden. Denn die Betroffenen müssen lernen zu spüren, welche Bewegungsformen ihnen gut tun und welche nicht und wie sie auf Schmerzen oder Schwellungen reagieren können. Und noch eines ist wichtig: Das Bewegungsprogramm muss dem Patienten Spaß machen und sich gut in seinen Lebens- und Arbeitsalltag integrieren lassen. Sonst wird es auf Dauer nicht beibehalten.  Das ist aber wichtig, damit das Medikament „Bewegung und Sport“ seine volle therapeutische Wirkung entfalten kann – sowohl in der Krebsprophylaxe als beim Vorbeugen des Rückfalls. (akk)