Allianz- Lesetipp: Die sieben Geheimnisse guten Sterbens

21. April 2014

Zugegeben: Als ich zum ersten Mal den Titel dieses Buches hörte, war ich skeptisch.  „Die sieben Geheimnisse guten Sterbens“ – schon wieder ein Ratgeber zum  Thema: Wie schaffe ich es, mein Leben auf möglichst würdige Weise zu beschließen?  Inzwischen erlebt die „Sterbeliteratur“ ja einen wahren Boom.

Ware Bronnies Buch von den fünf Dingen, die Sterbende am meisten bereuen, hält sich schon über viele Wochen in den Bestsellerlisten.  Das 2013 erschienene, 200 Seiten umfassende Buch: Über das Sterben: Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen? von Gian Domenico Borasio, einem  der führenden deutschen Palliativmediziner gehört inzwischen genauso zur Standardliteratur der Palliativmedizin wie der bereits 2011 erschiene Ratgeber von des Berliner Rettungsmediziners Michael de Ridder: Wie wollen wir sterben?

Alle drei Bücher hatte ich gelesen,  jedes setzt sich auf eine ganz eigene Art und Weise mit dem Sterben und der Vorbereitung darauf auseinander. Welche neue Erkenntnis wäre also von einem Buch mit einem etwas esoterisch anmutenden Titel zu erwarten? Um es vorweg zu sagen:  Dieser Erfahrungsbericht ist ganz anders, sehr viel persönlicher, intimer und empathischer als die meisten Bücher dieses Genres.  Dorothea Mihn, die ihre Erfahrungen als Palliativschwester gemeinsam mit der Hamburger Journalistin Annette Bopp zu Papier gebracht hat, gelingt es, tiefe Einblicke und Einsichten in die „Kunst des guten Sterbens“ zu vermitteln.  Medizinisch exakt und detailreich beschreibend, aber niemals distanzlos, mitfühlend, aber nicht sentimental oder belehrend gibt das Buch, das sich in sieben Kapitel untergliedert viele Antworten auf die Frage, wie ein menschenwürdiges Sterben aussehen und gestaltet werden kann.

Das Wissen um die „letzten Dinge des Lebens“ ist vielen verloren gegangen. Sterben und Tod sind aus dem Alltag der Menschen verdrängt, gehören zu den „Igitt-Themen“, wie es im Vorwort des Buches heißt, und finden in der Anonymität von Krankenhäusern und Altenheimen statt – obwohl die meisten Menschen zuhause sterben möchten.  Verdrängung und Tabuisierung, das zeigt Dorothea Mihn eindrucksvoll auf, haben ihre Wurzel immer auch in Ängsten und im Nicht-Verstehen. „Sowohl für den Sterbenden als auch für diejenigen, die sich um ihn kümmern, ist es ungeheuer hilfreich zu verstehen, was sich in der „Grauzone des Todes“ abspielt“, heißt dazu im dritten Kapitel des Buches.  Hier erläutern die Autorinnen mit Hilfe des Tibetischen Totenbuchs ( keine Sorge, man muss nicht Buddhist sein, um alles zu verstehen) die fünf Sterbephasen, die jeder Mensch durchläuft:  die schwindende Körper- und Sinneswahrnehmung, den Kontrollverlust über den Körper mit zunehmender Unruhe und Todesschweiß,  die Bewusstseinstrübung, das Schwächerwerden der Atmung –  bis zum endgültigen Atem-und Herzstillstand. 

Zu glauben, dass der Sterbende dann, wenn er sich selbst nicht mehr äußern kann, seine Umwelt nicht mehr wahrnimmt, zählt dabei zu den größten und fatalsten Irrtümern, weiß Dorothea Mihn. Dieser Irrglaube bestimmt aber nach wie vor den Umgang mit Sterbenden und Bewusstlosen. In ihrer langjährigen Tätigkeit als Intensivschwester und während ihrer Arbeit mit Schwerkranken und Hirntoten hat sie immer wieder die Erfahrung gemacht:  Auch Menschen, die sich nicht mehr über Sprache oder Bewegungen mit ihrer Umwelt verständigen können, nehmen etwas wahr und können mit ihren Angehörigen über andere Kommunikationswege in Beziehung und Dialog treten. Hierfür muss man aber lernen, die Signale des Sterbenden zu verstehen und sich ihm in einer anderen Art und Weise verständlich zu mache.

Die Brücke, über die sich Menschen in dieser Situation erreichen lassen, ist für Dorothea Mihn die basale Stimulation.  Diese ganz andere Art der Pflege versucht, die die Körperorientierung und die Kommunikationsfähigkeit des erkrankten oder sterbenden Menschen durch spezielle Berührungen, Massagen und Waschungen, Lageveränderungen, Musik, vertraute Gerüche oder Speisen, das Zeigen von Fotos oder Bildern oder auch das Betasten von Gegenständen verbessern hilft, ermöglicht es, Menschen auch in der schwierigen Phase des Abschiednehmens vom Leben zu erreichen und sehr einfühlsam und persönlich zu betreuen.

Sehr anschaulich beschreibt Dorothea Mihn, wie Patienten mit ganz unterschiedlichen Krankheitsverläufen und in den verschiedenen Stadien des Sterbeprozesses von der basalen Stimulation profitieren. Auch wenn das Sterben jedes Menschen anders und so einzigartig wie sein Leben ist: mit Hilfe der basalen Stimulation kann es gelingen, den letzten Weg zu einem guten Weg werden zu lassen – für den Sterbenden selbst wie auch für seine Familie und Freunde.

Das Besondere an diesem Buch ist auch, dass es neben der ganz persönlichen Geschichte von Dorothea Mihn, deren Leben von Anfang an durch eine ganz besondere Beziehung zum Sterben und zum Tod geprägt ist (ihre Mutter war bereits während der Schwangerschaft schwer an Krebs erkrankt), sehr viele praktische Empfehlungen für den Umgang mit Sterbenden und die Sterbebegleitung gibt. Nicht nur für Laien, sondern auch für Pflegekräfte in Krankenhäusern und Hospizen und Ärzte. Wer sich für die biographischen Teile des Buches nicht so sehr interessiert, kann auch selektiv nur die Empfehlungen zu den sieben Geheimnissen lesen. Sie sind im Text durch eine andere Schriftart und eine fette Schrifttype sofort zu erkennen.

Auch nach der Lektüre bleibt das Sterben für mich ein Geheimnis. Das Buch von Dorothea Mihn und Annette Bopp zeigt aber auf eindrucksvolle Weise, wie wir uns auf ein gutes Sterben vorbereiten und auch denen, die wir lieben und die uns wichtig sind, in ihren letzten Stunden nahe sein können. Und noch eins ist nach der Lektüre klar: Sterben darf nicht zum Geschäft und zur professionellen Routine in einem immer anonymer werdenden Medizinbetrieb werden. Hier brauchen wir eine neue Pflegekultur, damit Menschen ihr Leben bis zum Ende leben können. (akk)

Dorothea Mihn/Annette Bopp: Die sieben Geheimnisse guten Sterbens - Erfahrungen einer Palliativschwester, 288 Seiten, gebunden,  19,99 €, München, März 2014, Kailash Verlag, ISBN:978-3-424-63087