Lösen Immun-Enzyme Krebs aus?

6. Oktober 2013

Wie entsteht Krebs? Bislang machten Krebsforscher vor allem Strahlung, Chemikalien und Kopierfehler in der DNA dafür verantwortlich, dass sich solche Veränderungen im Erbgut häufen, die zum Ausgangpunkt einer Tumorerkrankung werden können. Zwei amerikanische Studiengruppen fanden jetzt – unabhängig voneinander – eine weitere Ursache für das Entstehen von Krebs heraus. 

Ein Enzym, das auch für die Bereitstellung von Antikörpern im Immunsystem zuständig ist, könnte bei der Krebsentstehung noch eine größere Bedeutung haben als Strahlen, Giftstoffe oder DNA-Fehler.Das Enzym AID (Activation induces Cytidine Deaminase) sorgt dafür, dass dann, wenn der Körper sich Viren, Bakterien oder anderen Mikroorganismen auseinandersetzen muss,  durch Veränderung in den Genen die notwendigen Antikörper gebildet werden.  Die natürliche Veränderungsrate in den B-Lymphozyten wird für die Immunantwort um das 106fache gesteigert.

Die Immunaktivität von AID hat aber eine zweite, risikobehaftete Komponente:  Genveränderungen können immer auch Krebs auslösen. Schon seit einiger Zeit wird das Enzym AID deshalb von der Krebsforschung als ein Auslöser von B-Zell-Lymphomen (das ist eine Krebserkrankung der Zellen, die Antikörper bilden) angesehen.  AID kommt aber nicht nur in B-Zellen, sondern in allen menschlichen Zellen vor. Deshalb suchten die Wissenschaftler vom National Institute of Environment Health Scienes in Durham nach bestimmten AID ausgelösten Mutationsmustern im Erbgut anderer Krebsarten.  Die Studiengruppe unter Leitung von Steven Roberts fand heraus:  Genveränderungen, die durch AID und verwandte Enzyme aus der APBEC( apolipoprotein B mRNA-editing enzyme, catalytic polypeptide-like)-Familie ausgelöst werden, treten bei Blasen-, Gebärmutterhals- und Lungenkrebs sowie bei Hals-Kopf-Tumoren besonders häufig auf.   Bei einigen Tumorarten, so die Studienergebnisse, die jetzt in der Fachzeitschrift Nature Genetics (2013; doi: 10.1038/ng.2702) veröffentlicht wurden, beläuft sich der Anteil der AID-Veränderungen an allen Mutationen sogar auf 68 Prozent.

Ähnliche Zusammenhänge konnten auch Krebsforscher von der Universität Minnesota in Minneapolis bestätigen.  Die Gruppe unter Leitung von Reuben Harris hatte 19 unterschiedliche Tumorarten auf Veränderungen untersucht, die durch Enzyme aus der APOBEC3B Familie entstanden sein könnten. Bei sechs Krebsarten – Blasenkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Lungenkrebs, Brustkrebs und Hals-Kopf-Tumoren – konnten sie eine verstärkte Enzymaktivität nachweisen. Die Forscher gehen davon aus, dass die gehäufte Tätigkeit der Enzyme Ursache für das Entstehen der Tumore sein kann.

Obwohl die Studien einer bisher nicht beachtete Krebsursache nachgehen, müssen die Ergebnisse noch in weiteren Untersuchungen untermauert werden.  Denn in Krebszellen treten verschiedenste Veränderungen auf, von denen aber nach dem derzeitigen Stand der Forschung nur wenige Krebs verursachen.  Häufig sind die Mutationen nur das Resultat von ungesteuerten Zellteilungen.  Insoweit ist der Nachweis bestimmter Veränderungsmuster noch kein Beleg dafür, dass das Enzym AID Auslöser dieser Mutation war. Wenn aber weitere Forschungsergebnisse den Verdacht erhärten, dass Enzyme, die die Immunantwort auslösten, auch für die Entstehung von Krebs verantwortlich sein könnten, ließen sich nach Einschätzung der amerikanischen Forscher daraus neue Therapieansätze – z. B. durch Medikamente, die die APOBEC –Tätigkeit hemmen – entwickeln (akk).

Literatur:  Burns, Temiz, Harris: Evidence for APOBEC3B mutagenesis in multiple human cancers, Nature Genetics 45, 977–983 (2013) doi:10.1038/ng.2701, Roberts, Lawerens, Klimczak et. Al.: An APOBEC cytidine deaminase mutagenesis pattern is widespread in human cancers, Nature Genetics 45, 970–976 (2013) doi:10.1038/ng.2702