Medizinische Leitlinien - Empfehlungen für die Behandlung
Die medizinischen Fachgesellschaften haben in den letzten Jahren für viele Erkrankungen ärztliche Behandlungsleitlinien entwickelt: Anders als Richtlinen sind Leitlinien keine rechtlich verbindlichen Vorgaben, an die sich die behandelnen Ärzte halten müssen. Behandlungsleitlinien verstehen sich als Orientierungshilfen, stellen Handlungsmöglichkeiten vor und geben Empfehlungen für die Behandlung, von denen aber auch abgewichen werden kann.
Gerade bei Krebserkrankungen unterstützen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie Ärztinnen und Ärzte dabei, die bestmögliche Therapieoption für Patientinnen und Patienten zu finden.
Wie entstehen Leitlinien?
Federführend für die Herausgabe von Leitlinien sind in Deutschland die Arbeitsgemeinschaften der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) und die Deutsche Krebshilfe (DKH). In den Leitlinien-Kommissionen arbeiten Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte aus Klinik und Praxis gemeinsam daran, auf Grundlage von neusten Forschungsergebnissen Handlungsempfehlungen z.B. für die Brustkrebsbehandlung zu formulieren und regelmäßig zu aktualisieren. Das Ziel: Patientinnen und Patienten sollen bestmöglich auf der Grundlage wissenschaftlich-nachgewiesener Wirksamkeit behandelt werden.
Die Leitlinien unterscheiden sich nach den jeweiligen Entwicklungsstufen in S1, S2 und S3 Leitlinien. Die höchste wissenschaftliche Relevanz haben Leitlinen nach dem Grad S3. Hier folgen die Empfehlungen den Ergebnissen einer Vielzahl von wissenschaftlichen Studien, die systematisch ausgewertet und im Hinblick auf ihre Qualität und medizinische Relevanz beurteilt wurden. In einer S1 Leitlinie werden dagegen nur Meinungen einer Expertengruppe abgebildet.
Die Stärke einer Leitlinienempfehlung wird im Wesentlichen durch den Grad der Evidenz - also der durch Studien belegten Wirksamkeit einer Behandlungsmethode oder eines Diagnostikverfahrens bestimmt. Die sogenannte "evidenzbasierte Medizin" geht aber nicht nur von Forschungsergebnissen aus, sondern berücksichtigt auch die klinische Expertise - also das Können,die Urteilskraft und Erfahrung, die Ärztinnen und Ärzte im Klinikalltag erwerben - und die Wünsche und Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten. Die Zusammenfassung und Bewertung dieser drei Evidenz-Faktoren fließt dann in die Leitlinienempfehlung ein.
Die Leitlinien unterscheiden dann - je nach Art und Umfang der Evidenz- verschiedene Grade der Behandlungsempfehlungen. Der höchste Empfehlungsgrad ist eine "Soll-Empfehlung", danach folgen dann in der nächsten Stufe "Sollte"- und "Kann"-Empfehlungen. Beschreibt die Leitlinie etwa, dass das Verfahren A zum Einsatz kommen soll, bedeutet das: Studien haben die Wirksamkeit der Methode und den Behandlungsvorteil für die Patienten nachgewiesen. Eine Aussage wie: "Die Behandlung mit dem Wirkstoff B kann durchgeführt werden" beschreibt eine Expertenmeinung, für die aber noch keine oder nicht genügend klinische Studien vorliegen, um die Wirksamkeit (Evidenz) wissenschaftlich beurteilen zu können.
Stärken und Schwächen von Leitlinien
Leitlinien sind für den Behandlungsalltag in Klinik und Praxis hilfreich und unverzichtbar. Ein Problem besteht darin, dass es solche Behandlungsempfehlungen nur für häufig auftretende Erkrankungen gibt. Bei den seltenen Erkrankungen mit 10.000 und weniger Betroffenen fehlt es an Studien und Erfahrungen für evidenzbasierte Empfehlungen. Zunehmend schwieriger wird es - angesichts der rasanten wissenschaftlichen Fortschritte - die Leitlinien auf aktuellem Stand zu halten. Die S3 Leitlinie für die Diagnostik und Therapie des Mamma-Karzinoms datiert z.B. auf den Juli 2021
Denn je höher die Qualitätsstufe einer Leitlinie ist, desto länger dauert der Überarbeitungs- und Aktualisierungsprozess. Im Allgemeinen werden Leitlinien im 5-Jahres-Rhythmus aktualisiert. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden somit erst mit Zeitverzug dort abgebildet.
Leitlinienempfehlungen orientieren sich zudem am Durchschnittspatienten. Für Patientinnen und Patienten müssen deshalb manchmal individuelle, von der Leitlinienempfehlung abweichsende Diagnostik- und Therapieentscheidungen getroffen werden. In der Onkologie kommen mehr und mehr "personalisierte Behandlungsstrategien" auf Grundlage von Biomarkern zum Einsatz, für die Patientinnen und Patienten kleineren Subgruppen zugeordnet werden. Diese Untergruppen werden aber im Rahmen der evidenzbasierten Medizin häufig nicht untersucht, da die geringere Anzahl an Patientinnen und Patienten für die entsprechenden Studien nicht ausreicht. Hier müssen Studiendesigns entwickelt werden, mittels derer auch Therapieentscheidgungen auf Grundlage von Biomarkern evidenzbasisiert untersucht werden.
Brustkrebs-Leitlinien
Für Brustkrebs gibt es verschiedene nationale und internationale Leitlinien. Die wichtigste deutsche Behandlungsempfehlung ist die S3-Leitlinie der Deutschen Krebsgesellschaft und verschiedener Fachgesellschaften, die zuletzt 2021 erschienen ist.
In Ergänzung zur S3 Leitlinie wurden auch zwei Patientenleitlinien für Brustkrebs erstellt. Hier werden die Leitlinienempfehlungen so "übersetzt", dass auch Patientinnen und Patienten Studienergebnisse, Kranheitsstadien und Untersuchungs- und Behandlungsmethoden verstehen.
De Kommission Mamma de Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie e.V. (AGO) gibt ebenfalls Empfehlungen heraus, die jährlich aktualisiert werden. Die Ergebnisse der Überarbeitungen veröffentlicht die AGO jeweils im Frühjahr des Jahres auf einer Jahrestagung. Die Leitlinienempfehlungen der AGO können auf der Homepage der Kommission eingesehen werden.
Ein Patientenratgeber, der gemeinsam mit der AGO-Patienten-Taskforce erarbeitet wurde, steht dort ebenfalls zum Download zur Verfügung. Dieser Ratgeber wird ebenfalls jährlich aktualisiert,