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Cancer Woman
Rezension von Annette Kruse-Keirath
Ist ein Cartoon die angemessene Form, um die Erfahrung „Brustkrebs“ zu beschreiben? So manche Brustkrebspatientin wird diese Frage spontan mit einem entschiedenen „Nein“ beantworten. Wer sich aber auf die besondere Art der Bilder- Geschichte von „Cancer woman“ einlässt, wird seine Meinung vielleicht doch ändern. Marisa Acocella Marchetto hat mit dem Cartoon eine ganz spezielle Form des Bildberichts gewählt, um ihre eigene Brustkrebsgeschichte zu erzählen. Ihr Buch, das bereits 2006 in den USA erschienen ist und dort mehrfach ausgezeichnet wurde, ist seit März 2012 in einer deutschsprachigen Version auf dem Markt.
Die Geschichte von Marisas Brustkrebs beginnt wie die einer modernen Großstadtfrau, die gerade den größten Glückstreffer in ihrem Leben gelandet hat: Der begehrteste Junggeselle New Yorks, Restaurantbesitzer Silvano Marchetto, hat der aufstrebenden Cartoonistin einen Heiratsantrag gemacht – und mitten in die Hochzeitsvorbereitungen platzt die Diagnose: Brustkrebs! Im Buch finden sich dafür starke Bilder: Plötzlich klingelt es an der Tür, und auf die Frage, wer da sei, schreit ihr ein furchterregender Schattenkopf entgegen: Dein Hochzeitskrebs, dein Karrierekrebs, dein Lebenskrebs!
Marisa Acocella ist 43 Jahre alt, als die Begegnung mit dem Krebs ihr Leben, das von der Jagd nach Erfolg, Parties, Beauty und Bettgeschichten bestimmt war, völlig umkrempelt. Statt in Lethargie und Depression zu verfallen, nutzt die Cartoonistin ihr Kreativ-Kapital und verfasst eine Comic-Erzählung ihrer eigenen Krebserkrankung – in ausdrucksstarken Bildern, ironisch distanziert, witzig im Ton, ohne Sentimentalität und mit Sinn für Situationskomik. So dudelt aus der Telefonwarteschleifen ihres Onkologen die Botschaft „staying alive“, ein Tapetenmuster in einem Café erinnert sie an Sprechblasen, die nur noch eines rufen: Cancer, Cancer. Und urweibliche Furcht davor, dass das Haar nicht richtig sitzen könnte (bad hair day) verändert sich bei Marisa Acocella zum Grauen vor dem „no hair day“.
Das Buch hat neben der eigenen Krankheitserfahrung aber auch eine sozialkritische Seite. So fragt sich Marisa Acocella Marchetto, wie es überhaupt zu Brustkrebs kommt. Können nicht vielleicht auch die vielen Stromleitungen neben den Grundschulen Schuld daran sein – oder die nicht sanierten Giftmülldeponien in den nach außen hin so adretten Vorstadtsiedlungen? Und wie kommt eine Frau ohne Krankenversicherung mit einer Brustkrebserkrankung zurecht. Sie, die mehr oder minder erfolgreiche Cartoonistin, die selbst im Moment ihrer Erkrankung ohne Versicherung ist, merkt plötzlich, wie wichtig diese Belange des Lebens sind. Denn nun muss sie verzweifelt Ärzte und Krankenhäuser abtelefonieren, um überhaupt behandelt zu werden – und ohne die finanzielle Unterstützung ihres zukünftigen Mannes hätte sie die Rechnungen nicht bezahlen können.
Aus diesem Grund hat sie einen Fond gegründet, in den Teile des Verkaufserlöses einfließen, mit dem jährlich rund 250 unversicherten Frauen eine Mammografie ermöglicht wird – „denn entdeckst du Brustrebs früh, hast du eine 98prozentige Überlebensrate“, so Marisa Acocella Marchetto. Zugegeben: Ein Cartoon ist nicht jederfraus Sache, um über eine Krebserfahrung zu berichten. Aber niemand, der das Buch von Marisa Marchetto liest oder einfach nur durchblättert, kann sich dem Eindruck der starken, einfachen und farbigen Bilder entziehen, in denen die Autorin nicht nur ihre Geschichte, sondern auch ihre Gefühle und ihre Verzweiflung beschreibt. Und vielleicht liegt es gerade daran, dass dieser Comic auf seine ganze besondere Art auch Menschen erreicht, die sich sonst nie mit dem Thema "Brustkrebs" beschäftigen würden.
Marisa Acocella Marchetto: Cancer Woman: Eine wahre Geschichte. Atrium-Verlag, Hamburg 2012, 224 Seiten, 22,95 Euro. ISBN 978-3-85535-507-5