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Aloe, Gingko, Mistel & Co.
Rezension von Annette Kruse-Keirath
Wenn die Verzweiflung groß ist, greift man nach jedem Strohhalm. Mit dieser lapidaren Feststellung tat die „offizielle Medizin“ lange Zeit die sogenannten komplementären Heilverfahren ab und stellte sie in die Ecke von Scharlatanerie und nicht wirklich ernst zu nehmendem Hokuspokus. Doch inzwischen hat sich viel getan in Sachen „Komplementärmedizin“. 73 Prozent der Onkologen in Deutschland befürworten heute komplementärmedizinische Verfahren als Ergänzung zur Schulmedizin. Und nicht nur sie, sondern auch viele Hausärzte möchten auf die Frage: Herr Doktor, was kann ich sonst noch für mich tun? eine kompetente Antwort geben.
Noch fehlen in der Erfahrungsheilkunde vielfach wissenschaftliche Studien. Deshalb sind fundierte Orientierungshilfen wichtig – für Patientinnen wie auch für die behandelnden Ärzte. Ein wichtiges Standardwerk ist hier der Patientenratgeber von Dr. Jutta Hübner, die als Chefärztin einer großen onkologischen Klinik seit vielen Jahren Krebspatienten in der akuten Therapiephase und in der Nachsorge betreut. Ex-perience based statt evidence based – Wissen aus Erfahrung statt aus nachweisbaren Studien –, so lassen sich die Empfehlungen charakterisieren, die Jutta Hübner in ihrem 296seitigen Ratgeber: „Aloe, Mistel, Ginkgo & Co“ zusammengetragen hat.
Das mit vielen Fotos illustrierte und in einer auch für medizinische Laien verständlichen Sprache geschriebene Buch gibt in alphabethischer Reihenfolge einen Überblick über insgesamt 117 Wirkstoffe, die in der biologischen Krebs-therapie eingesetzt werden. Alle Substanzen – angefangen von Aloe vera bis Zitrusflavonen – werden in Vorkommen und Wirkungsweise vorgestellt. Am Schluss jedes Kapitels findet sich unter dem Stichwort: Was empfiehlt der Arzt? eine kritische Wertung aus Sicht der Schulmedizin.
Dem eigentlichen Ratgeberteil vorangestellt sind Kapitel mit Informationen zur Krebsentstehung, über Chancen und Grenzen einer naturheilkundlichen Begleittherapie und der Erstattung solcher Medikamente durch die Krankenkassen. Wichtige Hinweise bietet das Buch auch zu den Studien, die notwendig sind, bis ein Medikament für den Markt zugelassen wird.
Im Kapitel „Ernährung“, das immerhin 14 Seiten umfasst, folgt Jutta Hübner allerdings den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die neben der Regel ‚five a day‘ (5 Portionen Obst und Gemüse täglich - drei Hände voll Gemüse und zwei Hände voll Obst) ), immer noch den Verzicht auf Fett und eine kohlenhydratreiche Ernährung propagiert. Hier hätte man sich den Hinweis auf vielversprechende neuere Forschungsansätze gewünscht, die eine Er-nährungsumstellung auf drei Mahlzeiten täglich mit Reduzierung kurzkettiger Kohlenhydrate (Weißmehlprodukte, Kartoffeln, Nudeln, Reis) und einem höheren Anteil an Eiweiß und Gemüse favorisieren. Und zwar nicht nur, um Übergewicht zu vermeiden, sondern auch, um den Zuckerstoffwechsel in den Zellen günstig zu beeinflussen. Wird Zucker unter Sauerstoffzufuhr nämlich nicht verbrannt , sondern in der Zelle vergoren, kann dies nach neuen Studien die Metastasierung und auch die Resistenz der Krebszellen gegen die Wirkstoffe der Chemotherapie begünstigen.
Trotz dieses kleinen Wermutstropfens ist der Ratgeber von Jutta Hübner als Einstiegslektüre für Patientinnen zu empfehlen, die sich einen Überblick über die Komplementärtherapie verschaffen möchten. Die „fortgeschrittene Leserin“ wird aber sicherlich fundierte Hinweise auf Studien und Tipps für weiterführende Lektüre vermissen. Hier hätte man sich ein Literaturverzeichnis und nicht nur Internetlinks von Selbsthilfegruppen, der Deutschen Krebsgesellschaft und Stiftungen gewünscht. Das Fazit: Ein informatives, leicht zu lesendes Buch und eine Art Gesundheitslexikon, das Lust auf Mehr macht.
Jutta Hübner: Aloe, Mistel & Co – Ergänzende Wirkstoffe in der Krebsbehandlung, Ein Ratgeber für Patienten und Angehörige,
Schattauer-Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-7945-2691-8, Preis: 24,95 €